Der Geist der Plage

Peters Tiergarten, FALTER 34/2023 vom 22.08.2023

Foto: Georg Feierfeil

Wenn sich der Sommer dem Ende zuneigt, dann steigt der Druck in manchen Medien, noch letzte Erregungen aus dem schrumpfenden Nachrichtenloch zu pressen. Auf die Kronen Zeitung ist in solchen Fällen Verlass, sie weiß an einem Tag sowohl von einer „Mistelplage“ als auch einer „Fliegen-Plage“ zu berichten, die Österreich wie in biblischen Zeiten das Land Ägypten heimsuchen.

Die Schrecken der herbeigeschriebenen Apokalypse erscheinen nach kurzer Prüfung nur mehr wie zartes Zephyrgesäusel. Zuerst lobt die Krone die „Mistel“ als „von den Druiden einst als heiligste aller Pflanzen verehrt“, doch dann verstößt sie die Pflanze aus dem Paradies, „die nun zur Mühsal für Mutter Natur“ wird, und lokalisiert „das Burgenland als Hotspot der Plage“.

Man hätte im Comics „Asterix und Obelix“ nachlesen können, dass die Heilpflanze des Altertums, die der Druide Miraculix mit der Sichel schneidet, die Eichenmistel (Loranthus europaeus) ist, während die im Artikel beschriebene Weißbeerige Mistel (Viscum album) nicht heilt, sondern schwach giftig ist. Egal, mit botanischen Details langweilt man die Leserschaft. Und für Vögel, die gerne die Samen der Mistel fressen, ist das in ausgeräumten Naturlandschaften weniger Plage als Nahrungsgrundlage.

Die zweite Plage betrifft nur den Stadtteil Münichtal in Eisenerz. Hier kann die Kleine Zeitung bei der Schlagzeile punkten: „Millionen Fliegen in Eisenerz: Es stinkt bestialisch – wie Leichengeruch.“ Schuld am Fliegen-Gau sei ein Recycling-Unternehmen, das an „Müllrückstau“ bei Konservendosen laboriert. Bevor Sie fragen: Nicht das Metall lockt Fliegen an, sondern die Essensreste in den Dosen.

1906 versuchte ein Amerikaner, die Anzahl der Nachkommen von einem Paar Stubenfliegen zu schätzen und kam auf ca. 5,5 Billiarden Tiere, welche die Erde mit einer 15 Meter hohen Schicht begraben würden. Das war offensichtlich so beeindruckend, dass man erst nach 58 Jahren diese Hochrechnung hinterfragte und neu berechnete. Schließlich einigte man sich darauf, dass die Fliegenbrut nur eine Fläche von der Größe Deutschlands bedecken würde.

Eisenerz ist jedenfalls nicht unter Fliegen begraben, auch wenn sich der Bürgermeister schockiert darüber zeigt, dass im Freien „im Nu hunderte Fliegen herumschwirren“. Ja? Das war früher in agrarischen Gebieten mit Rinderhaltung ganz normal. Aber Eisenerz war bislang nur ein fliegenarmer Industriestandort.

Das Gute zum Schluss: Auch hier freuen sich die laut Farmland Bird Index zunehmend unter Druck stehenden Vögel über zusätzliches Futter.

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