Entstaubte Historie: „Jeanne du Barry“ von und mit Maïwenn

Gerhard Midding
FALTER:Woche, FALTER:Woche 34/2023 vom 22.08.2023

Wäre es ein anderer Film geworden, hätte Gérard Depardieu die Königsrolle nicht abgelehnt? Gewiss, das Biopic „Jeanne du Barry“ um die letzte Mätresse von Louis XV. wäre ebenso opulent drapiert und verschwenderisch besetzt worden (Pierre Richard als espritvollem Lustgreis). Dass der alternde Monarch hier die zweite Geige spielt, nimmt der nachgerückte Johnny Depp verblüffend servil zur Kenntnis. Die vergnügte, später wehmütige Komplizenschaft, die den Herrscher mit seiner Favoritin (Maïwenn) verbindet, gewinnt mit ihm indes eine sacht modernere Note.

Das zwischen Intimität und Öffentlichkeit schillernde Leben der anstößigen Kurtisane hat bereits die Fantasie vieler Meister der erlesenen Schlüpfrigkeit (Ernst Lubitsch, Cole Porter und fast auch Sacha Guitry) angeregt. Auch für Maïwenn beherrscht sie die Kunst der gehobenen Anzüglichkeit, ist eine sattelfeste Tabubrecherin und unbegabte Intrigantin. Nie erscheint die Kokotte mit dem großen Herzen als frivoler Charakter. Die Regisseurin würde sie gern als Heldin der Aufklärung feiern, aber das Drehbuch gibt ihr dazu nur sporadisch Handhabe. Insgeheim erzählt die Ex-Frau Luc Bessons auch ihre eigene Geschichte als ausgestoßene Favoritin, die sich im Filmgeschäft durchsetzt.

Mithin interessiert sich ihr Film brennend dafür, wie eine exklusive Gesellschaft funktioniert. Die einfachen Verhältnisse, aus denen Jeanne stammt, lässt er flugs hinter sich, widmet sich sodann der Ökonomie von Gunst und Begehren im niederen Adel, um schließlich die Mysterien des höfischen Protokolls zu ergründen. Versailles ist der unwiderstehliche Anziehungspunkt dieser Biografie. Während Laurent Daillands Kamera überwältigt ist von den schieren Dimensionen und der symmetrischen Anmut des Schlosses, entwickelt die Regie feinsinnige Schaulust an Zeremoniell und Ritual. Das diskrete Ereignis des Films ist Benjamin Lavernhe als ergebener Kammerdiener, der Jeanne in die Etikette einweihen soll und den die Vergeblichkeit seiner Bemühungen zusehends amüsiert. Auf seine Arbeitsstelle lässt er freilich nichts kommen: „Das ist nicht grotesk, das ist Versailles!“

Ab Fr in den Kinos (OmU im Votiv)

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