Wiens Ruf: Musikszene-Doku aus dem Lehrbuch für die Marke raunzertes Flair

Drehli Robnik
FALTER:Woche, FALTER:Woche 34/2023 vom 22.08.2023

Der Anspruch, es gehe um aktuelle Wiener Musik als Szene, ist hier ein Anruf: „Vienna Calling“. Philipp Jedickes flott montierte Doku zitiert im Titel einen schwachen Falco-Hit; allerdings klingt keiner der hier kommentarlos per Auftritt, Clip und In-die-Kamera-Talk präsentierten Acts nach Falco (bis auf den Entertainer Gutlauninger, und der klingt mehr nach Minisex und ist ein Halblustinger). Dafür wird viel Falcodeutsch geredet: Der Mix aus Schönbrunnerisch und Gürtelbezirkskreativmilieuraunzerei ist das Idiom etwa von Voodoo Jürgens und dem Nino aus Wien, die ihr forciertes Lokalkolorit aus Schrullenpoesie, Strizzi-Retro und Erinnerungswehmut ausbreiten.

Das geschieht konzertant, etwa als Objekt segregierter Publika einer Peepshow back in the Covid days (ebenso pandemiebedingt fanden hier gezeigte Popfest-Shows 2021 in der Arena statt); oder durch strategisches Sitzen in Bobotschocherln, so viel Flair muss sein. Wenn hier Ambros’ „Blume aus dem Gemeindebau“ gecovert wird, merkst du, dass es das schon mal in Besser gab. (Und Kurt Sowinetz sowieso.)

Dialekt-Chanson dominiert. Dem gegenüber Fremdkörper sind hier die nonbinäre Hip-Hop/House-Person Kerosin95 (live in Aspern, in Rage, im Brautkleid und brachial in Betonbrachen) sowie die Ghetto-Rap und Turbofolkrock verbindenden Geschwister EsRAP; als wäre ethnisierendes Platzzuweisen kein Problem, lässt die Doku sie – nur sie – aus der Family heraus über Hackn und Herkunft (türkisches Ottakring) reden.

Dass sie auf einer 2018er-Donnerstagsdemo gegen Türkis-Blau spielen, erkennt, wer’s weiß. Mehr brand recognition bringt die Schauplatznutzung der Wiener Kanalisation, siebter Aufguss vom „Dritten Mann“, zumal als Setting des Cissy-Kraner-Satans-Metal von Lydia Haider. Fuzel einer Fuckhead-Show sind zwischengeschnitten, weil’s irgendwie passt.

Eine sinnbefreite Revue von großspurigem Grind und Morbiditätsklischees aus einer Zeit, als es schien, die Kulturstandort-Wien-Verwertung müsste künftig andere Marken als Sissi bespielen.

Ab Fr in den Kinos

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