Erlesenes Sündenregister: Das Filmarchiv erinnert an Schauspieler Helmut Berger

Gerhard Midding
FALTER:Woche, FALTER:Woche 35/2023 vom 29.08.2023

Er fing an in einem Kino, das erst noch Bilder finden musste für die Tabubrüche und sittlichen Grenzgänge, die in der Luft lagen und die er wie kein Zweiter verkörperte. Mit ihm nahm ein Zeitgeist filmische Gestalt an, der einherging mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der späten 1960er, aber ein betont mondänes Antlitz trug. Er war die Inkarnation eines Jetset-Hedonismus, der maßlosen Launen folgt und sich in die Tyrannei der Flüchtigkeit begibt.

Furchtlos nahm Helmut Berger das Mandat auf sich, zugleich Augenweide und Zumutung zu sein. Diesseits des Sex- und Pornofilms gab es keinen anderen Darsteller, den das Publikum so oft nackt sah wie ihn. Allerdings standen ihm auch die Modetorheiten der Zeit und Nazi-Uniformen prächtig. In „Dorian Gray“ brilliert er als Sünder von enzyklopädischem Ehrgeiz; in „Die Verdammten“ schließt er maßgebliche Lücken (Inzest, Pädophilie). In Luchino Viscontis Epos wandelt er sich freilich vom Objekt begehrlicher Blicke zum Subjekt der Erzählung: Seinen Martin von Essenbeck geleitet er vom trotzigen Kind zum faschistischen Charakter. Gewiss, sein verlässlichster Leinwandpartner bleibt der Spiegel, aber als Schauspieler kann er bestehen neben Dirk Bogarde und Ingrid Thulin.

Seine frühe Phase erscheint als Karneval der Ausschweifungen, aber die Wehmut ist ihr bereits eingeschrieben. In „Der Garten der Finzi Contini“ regt sich eine erste Ahnung von Hinfälligkeit. Sein Meisterstück liefert er als unverschämter Gigolo mit politisch bewegter Vergangenheit in „Gewalt und Leidenschaft“, der intellektuelle Tiefe besitzt. Die Adoption durch den einsiedlerischen Gelehrten Burt Lancaster ist im Kern die (platonische) Allegorie auf Bergers Beziehung zu Visconti. Das Gleichnishafte seiner großen Rollen bewahrte ihn vor dem Schicksal anderer Söhne des Autorenfilms (Lou Castel, Jean-Pierre Léaud), später vor allem als Zitat besetzt zu werden. In Albert Serras „Liberté“ zieht er eine letzte Summe seiner Karriere: als siecher Gewährsmann einer Verworfenheit, die kaum mehr krauchen kann.

Retrospektive Helmut Berger: 5.9. bis 18.10. im Metro Kinokulturhaus

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